zum Thema „Terrorismus“
Dr. Schwaabe: Der Terror ist ein transnationales Phänomen geworden
Interview mit PD Dr. Christian Schwaabe, Akademischer Oberrat Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft Ludwig-Maximilians-Universität München
Interview/Fotos: Reşad Ozkan
http://basnuce.com/ku/news/10275/sebeben-terorizma-transnasyonal-pirali-ne
Welche Ursachen und Konsequenzen hat der transnationale Terrorismus?
Dr. Schwaabe: Die Ursachen des transnationalen Terrorismus sind vielfältig, ebenso seine Erscheinungsformen. Betrachtet man den jüngeren islamistischen Terrorismus, etwa in Gestalt von IS oder Al-Qaida, so verdankt er sich einem Bündel von Ursachen: der Wahrnehmung, dass die westliche Welt unter Führung der USA den Islam seit Jahrhunderten unterdrückt und dies seit einigen Jahrzehnten auch militärisch in muslimischen Ländern durchsetzt; einer zunehmenden Radikalisierung einiger Strömungen innerhalb des Islam; auch der Perspektivlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die sich radikale Gruppen zunutze machen; und schließlich der enormen politischen Instabilität in vielen muslimischen Ländern (dazu zählt zuweilen auch die Herrschaft mehr oder weniger korrupter Eliten in den Ländern selbst). Die vielleicht wichtigste Konsequenz des neuen Terrorismus besteht darin, den eigenen Kampf in jene Länder getragen zu haben, die als Feinde des Islam angesehen werden. Er ist wirklich ein transnationales Phänomen geworden.
Was ist neu am Terrorismus in der globalen Gegenwartgesellschaft?
Neu (vor allem für westliche Staaten und Bevölkerungen) an dieser Art des Terrorismus ist, dass er potentiell überall seinen Schrecken verbreiten kann, dass sich niemand mehr sicher fühlen kann, vor allem in den einst recht gut abgeschotteten Ländern des Westens. Eine neue Qualität ist sicher auch der gezielte Angriff auf die Zivilbevölkerung, auf "weiche Ziele". Die westlichen Wohlstandsgesellschaften trifft dies an ihrer empfindlichsten Stelle. Neu ist unter anderem auch die Organisation und Rekrutierung über das Internet. Das hat wirklich eine neue Qualität.
Was kann der Staat, was kann die Gesellschaft gegen Terrorismus tun?
Realtiv wenig. Die Engländer reagierten im Zweiten Weltkrieg auf den deutschen Terror mit dem Aufruf: "Keep calm and carry on!" Das wäre wahrscheinlich die beste Reaktion bzw. Haltung, die die angegriffenen Gesellschaften an den Tag legen könnten. Es wäre wichtig, die Freund-Feind-Logik der Terroristen eben nicht zu übernehmen. Vor allem sollte es nicht zu Diffamierungen ganzer Bevölkerungsgruppen oder zur Gleichsetzung bestimmter Religionen mit Terrorismus kommen.
Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Terrorismus und Integration?
Hier besteht meines Erachtens ein bedeutsamer Zusammenhang. Ein Grund für die Radikalisierung künftiger Terroristen besteht zweifelsohne in der fehlenden Integration und der verweigerten Anerkennung, die sie erfahren haben. Andererseits wird man bei noch so guter Integration nie die Radikalisierung einiger weniger verhindern können.
Wie haben Sie als Wissenschaftler die Attentate in Brüssel und die Reaktionen darauf wahrgenommen?
Realistischer Weise waren sie schlicht erwartbar. Und es werden noch etliche Anschläge in Europa folgen. Man kann sich beispielsweise kaum vorstellen, dass während der Fussball-Europameisterschaft in Frankreich nicht wenigstens Versuche weiterer Anschläge erfolgen werden. Die Reaktionen auf die Brüsseler Anschläge deuten an, dass die Politiker in Europa nicht so recht wissen, wie sie mit dem Problem eigentlich umgehen sollen. Es steht zu befürchten, dass sie dabei früher oder später immer einseitiger auf polizeiliche Maßnahmen setzen und dass dabei andere politische Ziele und die Frage nach den Ursachen immer weiter in den Hintergrund rücken werden.
Freiheit oder Sicherheit? Was hat Vorrang?
Diese Frage trifft ins Zentrum der Problematik - und sie ist doch kaum so eindeutig zu beantworten. Niemand mag sich ein Leben in Unfreiheit vorstellen. Aber noch fundamentaler ist für die meisten das Bedürfnis nach Sicherheit. Es wäre sehr zu hoffen, dass beide Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Wie gerecht ist die Welt?
Sehr ungerecht. Und da ist am Ende das Hauptproblem.
PD Dr. Christian Schwaabe
Akademischer Oberrat
Lecturer für Politische Theorie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Institut
Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie
http://www.gsi.uni-muenchen.de/personen/aplprof_pd/schwaabe/
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Interview/Bilder: Reşad Ozkan/
Kurdische Wochenzeitung "BasNûçe"
http://basnuce.com/ku/news/10275/sebeben-terorizma-transnasyonal-pirali-ne
Dr. Schwaabe: Der Terror ist ein transnationales Phänomen geworden
Dr. Schwaabe: Der Terror ist ein transnationales Phänomen geworden |
Interview mit PD Dr. Christian Schwaabe, Akademischer Oberrat Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft Ludwig-Maximilians-Universität München
Interview/Fotos: Reşad Ozkan
http://basnuce.com/ku/news/10275/sebeben-terorizma-transnasyonal-pirali-ne
Welche Ursachen und Konsequenzen hat der transnationale Terrorismus?
Dr. Schwaabe: Die Ursachen des transnationalen Terrorismus sind vielfältig, ebenso seine Erscheinungsformen. Betrachtet man den jüngeren islamistischen Terrorismus, etwa in Gestalt von IS oder Al-Qaida, so verdankt er sich einem Bündel von Ursachen: der Wahrnehmung, dass die westliche Welt unter Führung der USA den Islam seit Jahrhunderten unterdrückt und dies seit einigen Jahrzehnten auch militärisch in muslimischen Ländern durchsetzt; einer zunehmenden Radikalisierung einiger Strömungen innerhalb des Islam; auch der Perspektivlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die sich radikale Gruppen zunutze machen; und schließlich der enormen politischen Instabilität in vielen muslimischen Ländern (dazu zählt zuweilen auch die Herrschaft mehr oder weniger korrupter Eliten in den Ländern selbst). Die vielleicht wichtigste Konsequenz des neuen Terrorismus besteht darin, den eigenen Kampf in jene Länder getragen zu haben, die als Feinde des Islam angesehen werden. Er ist wirklich ein transnationales Phänomen geworden.
Was ist neu am Terrorismus in der globalen Gegenwartgesellschaft?
Neu (vor allem für westliche Staaten und Bevölkerungen) an dieser Art des Terrorismus ist, dass er potentiell überall seinen Schrecken verbreiten kann, dass sich niemand mehr sicher fühlen kann, vor allem in den einst recht gut abgeschotteten Ländern des Westens. Eine neue Qualität ist sicher auch der gezielte Angriff auf die Zivilbevölkerung, auf "weiche Ziele". Die westlichen Wohlstandsgesellschaften trifft dies an ihrer empfindlichsten Stelle. Neu ist unter anderem auch die Organisation und Rekrutierung über das Internet. Das hat wirklich eine neue Qualität.
Was kann der Staat, was kann die Gesellschaft gegen Terrorismus tun?
Dr. Schwaabe: Der Terror ist ein transnationales Phänomen geworden |
Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Terrorismus und Integration?
Hier besteht meines Erachtens ein bedeutsamer Zusammenhang. Ein Grund für die Radikalisierung künftiger Terroristen besteht zweifelsohne in der fehlenden Integration und der verweigerten Anerkennung, die sie erfahren haben. Andererseits wird man bei noch so guter Integration nie die Radikalisierung einiger weniger verhindern können.
Wie haben Sie als Wissenschaftler die Attentate in Brüssel und die Reaktionen darauf wahrgenommen?
Realistischer Weise waren sie schlicht erwartbar. Und es werden noch etliche Anschläge in Europa folgen. Man kann sich beispielsweise kaum vorstellen, dass während der Fussball-Europameisterschaft in Frankreich nicht wenigstens Versuche weiterer Anschläge erfolgen werden. Die Reaktionen auf die Brüsseler Anschläge deuten an, dass die Politiker in Europa nicht so recht wissen, wie sie mit dem Problem eigentlich umgehen sollen. Es steht zu befürchten, dass sie dabei früher oder später immer einseitiger auf polizeiliche Maßnahmen setzen und dass dabei andere politische Ziele und die Frage nach den Ursachen immer weiter in den Hintergrund rücken werden.
Freiheit oder Sicherheit? Was hat Vorrang?
Diese Frage trifft ins Zentrum der Problematik - und sie ist doch kaum so eindeutig zu beantworten. Niemand mag sich ein Leben in Unfreiheit vorstellen. Aber noch fundamentaler ist für die meisten das Bedürfnis nach Sicherheit. Es wäre sehr zu hoffen, dass beide Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Wie gerecht ist die Welt?
Sehr ungerecht. Und da ist am Ende das Hauptproblem.
PD Dr. Christian Schwaabe |
PD Dr. Christian Schwaabe
Akademischer Oberrat
Lecturer für Politische Theorie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Institut
Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie
http://www.gsi.uni-muenchen.de/personen/aplprof_pd/schwaabe/
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Interview/Bilder: Reşad Ozkan/
Kurdische Wochenzeitung "BasNûçe"
http://basnuce.com/ku/news/10275/sebeben-terorizma-transnasyonal-pirali-ne