Interview
Dr. Udo Steinbach/Foto:Reşad Ozkan |
Prof. Dr. Udo Steinbach:
Wenn
Assad an der Macht bleibt, wird sich, was die Kurden betrifft, nicht viel
verändern
Der Orient- und Kurdistanexperte Professor Dr. UdoSteinbach beantwortete unsere Fragen über den Bürgerkrieg und die Autonomiebestrebungen
der Kurden in Syrien und die Zukunft der Autonomeregion Kurdistan im Irak . Mit
Professor Steinbach sprach Rûdaw Korrespondent Reşad Ozkan
Wie
lange bleibt Assad noch an der Macht?
Eine Lösung auf der Basis der jetzigen
Kräfteverhältnisse, kann ich nicht sehen. Es sieht eher so aus, dass, wenn sich
nichts verändert, Assad früher oder später seine Macht wieder konsolidieren und
auf das gesamte Staatsgebiet ausweiten wird.
Welche
Rolle spielen Iran und Russland?
Iran unterstützt das Regime noch immer, auch
Russland. Dies sowohl politisch als auch militärisch, mit Waffen und mit
Militärberatern.
Wird
Assad in der Zukunft überhaupt noch fähig sein, zu regieren?
Ja, wenn er sich mit Gewalt durchsetzt. Er spielt
seine Karten ja sehr geschickt aus und kommt dem Westen jetzt entgegen, indem
er chemisch abrüstet und damit auf wichtige Forderungen des Westens eingeht.
Wenn er politisch überlebt, dann kann er, auch langfristig gesehen, weiter
herrschen.
Wie
werden dann seine Beziehungen zur Türkei und den Nachbarländern aussehen?
Die Beziehungen zur Türkei sind schlecht und werden
dann auch schlecht bleiben. Die Türkei befürwortet ja eigentlich eine
Intervention. Aber die wird nicht stattfinden. Die Amerikaner wollen das nicht,
die internationale Gemeinschaft will es nicht, aus welchen Gründen auch immer.
Bis auf Weiteres wird Assad überleben und wenn es jetzt zu der Genfer Konferenz
kommt, dann bedeutet auch das, dass er politisch letzten Endes wieder Punkte
sammelt.
Was
wird das für die Kurden in Syrien bedeuten?
Wenn Assad an der Macht bleibt, wird sich, was die
Kurden betrifft, nicht viel verändern. Die Repressionen werden weiter anhalten,
um so mehr als die Kurden jetzt dabei sind, eine Art von Gebiet zu gründen. Ich
kann nicht sehen, dass sich an der Staatsstruktur sehr viel verändern wird,
wenn Assad wirklich überlebt.
Bekommen
die Kurden eine Autonomie oder eine Selbstverwaltung?
Kann sein, aber das wissen wir jetzt noch nicht.
Natürlich haben die Kurden letzten Endes mit Assad kooperiert, aber Assad hat
keine Anstalten gemacht, die kurdischen Gebiete wieder seiner Macht zu unterwerfen,
bis jetzt mindestens. Im Augenblick jedenfalls nicht.
Viele
Beobachter gehen davon aus, dass die PKK/PYD in Syrien mit Assad kooperiert.
Die PKK/PYD kontrolliert die Grenze. Wird die PKK/PYD in Zukunft auf dieses
Gebiet verzichten oder kommt ein Krieg mit Syrien?
Die PKK ist erst einmal hinreichend mit ihrer
Auseinandersetzung mit Ankara beschäftigt und ich kann schwer sehen, dass es
dann einen Krieg oder eine militärische Auseinandersetzung mit Syrien gibt. Die
Anstrengungen der PKK sind auf die Autonomie oder Unabhängigkeit der Kurden in
der Türkei gerichtet. Aber dass es durchaus zu Querverbindungen nach Syrien hin
kommen kann, das ist vorstellbar. Zumal diese Querverbindungen ja auch jetzt
schon zu einigen kurdischen Organisationen in Syrien bestehen. Die Frage ist
natürlich auch, ob Barsani hier mitspielen will. Barsani, der im Augenblick
doch eng mit der Türkei kooperiert und dessen Beziehungen zur PKK und zu den
entsprechenden kurdischen Organisationen in Syrien nicht besonders gut sind.
Meinen
Sie, die Kurden werden wieder auf der Verliererseite sein in Syrien?
Wenn sich die Machtverhältnisse nicht grundlegend
verändern, dann ja. Das heißt, wenn Assad wirklich politisch überlebt. Sie
haben natürlich große Chancen, ihren Status zu verändern, wenn es zu einer
demokratischen Entwicklung in Syrien käme.
Wenn
Assad an der Macht bleibt, was würde das in Zukunft für Israel, für Europa und
die amerikanischen Interessen bedeuten? Alle wollen ja, dass Assad entmachtet
wird.
Da bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Die
internationale Gemeinschaft weiß eigentlich gar nicht, was sie will. Die
einzigen, die dies wissen, sind die Russen. Die Russen wollen einen
Machtzuwachs im Nahen Osten und da spielen sie die Karte von Assad.
Die
Russen zeigen sich so, als wollten sie die Kurden unterstützten. Sie wollen
auch unbedingt, dass die Kurden bei der Konferenz in Genf beteiligt sind. Ist
das eine neue Politik? Was wollen die Russen wirklich?
Die Russen wollen eine ziemlich breite Basis haben
für die Genfer Konferenz. Sie ist ja schließlich ein russisches Baby. Die
Russen wollen nach Genf gehen, weil damit das Überleben von Assad gesichert
wird und damit auch der russische Einfluss in der Region gestärkt wird. Dafür
wünschen sich die Russen eine möglichst breite Basis aus der Region heraus und
dazu gehören auch die kurdischen Organisationen, bzw. eine Organisation der
Kurden aus Syrien, aber auch eine iranische Teilnahme.
Was
wird das für Iran bedeuten?
Ich glaube, das ist von vielen Faktoren abhängig. Ob
die Iraner wieder die syrische Karte spielen, oder ob sie stärker auf die
Amerikaner zugehen wollen, ist im Augenblick nicht so ganz klar, weil noch
keinerlei Resultate festzustellen sind, was die Atomfrage betrifft. Also ich
glaube, die Iraner halten sich alle Optionen offen.
In
Syrien kämpfen über 200 Dschihadisten mit deutschem Pass. Was ist die Politik
Deutschlands in Syrien?
Deutschland hat gar keine Politik. Es schließt sich
der internationalen Gemeinschaft an und ist froh, dass Assad endlich begonnen
hat, seine chemischen Waffen abzurüsten. Außerdem unterstützt es die Genfer
Initiative. Also alles, was nichts kostet, politisch und militärisch, das wird
von Berlin aus für gut befunden. Aber das ist natürlich keine Politik.
Wie
steht es um die syrische Opposition? Sie besteht ja aus fast 1000 Gruppen. Was
halten Sie davon?
Auch da ist der Westen natürlich mit schuld. Er
hätte längst schon intervenieren können. Die radikalen Kräfte haben in den
letzten Wochen deutlich zugenommen, weil klar ist, dass die internationale Gemeinschaft
nicht interveniert und weil der amerikanische Präsident seine Drohung nicht
wahr gemacht hat, die Überschreitung der roten Linien zu sanktionieren. Das hat
zu einem riesigen Vertrauensverlust in die westliche Politik überhaupt geführt
und hat die Radikalen und Militanten in Syrien deutlich gestärkt.
In
Syrien, besonders im kurdischen Teil, kämpfen die Dschihadisten gegen die
Kurden, nicht aber gegen die Regierung. Glauben Sie, dass hinter einigen dieser
Gruppierungen auch Syrien oder die iranische Politik dahinterstecken könnte?
Da es sich um sunnitische Organisationen handelt,
glaube ich nicht, dass dort im Augenblick die iranische Politik dahintersteckt.
Zum
Irak. Der Ministerpräsident Maliki war in den USA. Er will seine Armee
aufrüsten. Wofür braucht er überhaupt Waffen?
Das haben die Amerikaner ihn auch gefragt. Ich habe
jedoch nicht das Gefühl, dass der Besuch von Maliki in Washington ein Erfolg
gewesen ist.
Aktuell
war irakische Aussenminister in der Türkei und seine Kollege Davutoglu war auch
auf seine Einladung im Irak. Kommen wieder neue Beziehungen zwischen Irak und
der Türkei zustande?
Das kann natürlich sein, denn in Ankara wächst die
Sorge mit Blick auf die Kurden. Bisher hat man die Kooperationsschiene gewählt,
wenn es um Nordkurdistan ging. Doch nach allen Entwicklungen, auch nach der
Stagnation des so genannten Friedensprozesses in der Türkei, könnte ich mir
vorstellen, dass Erdoğan seine Kurdenpolitik fundamental revidiert. Und dann
kommt er natürlich wieder auf eine stärkere Beziehung zu Bagdad zurück.
Letzte
Wochen kam es in Iran zu Kämpfen zwischen der iranischen PKK und den Pasdaran.
Das passte der Türkei …
In der Tat, die türkische Regierung muss sehr
beunruhigt darüber sein, dass die kurdische Frage doch wieder eine hohe
Sichtbarkeit hat und die Kurden mit wachsendem Selbstbewusstsein auf der
regionalen und internationalen Bühne aktiv sind.
Wie
sehen Sie die Zukunft in Südkurdistan mit Kurdischem Präsident Mesud Barsani?
Ich glaube, Barsani wäre wirklich gut beraten, wenn
er eine Politik des niedrigen Profils in Südkurdistan verfolgen würde. Damit
meine ich, davon Abstand zu nehmen, erstens in Richtung eines eigenen Staates
zu marschieren und zweitens, sich allzu sehr mit kurdischen Organisationen in
Syrien, in der Türkei und im Iran einzulassen. Wenn er das tut, dann ruft er
das Misstrauen in Ankara und in Teheran hervor und das kann ihm eigentlich nur
schaden. Einen besseren Status als jetzt kann er eigentlich nicht bekommen.
Sie
haben im Magazin „Zenith“ über den „Weg nach Kurdistan“ geschrieben. Was haben
Sie damit gemeint?
Den Weg nach einem eigenen Staat, der alle
kurdischen Gebiete umfasst.
Meinen
Sie, dass ein eigener Staat für die Kurden näher gerückt ist?
Nein, der ist sehr weit weg. An meiner Analyse vor
wenigen Wochen hat sich nichts geändert.
Viele
Beobachter gehen davon aus, dass Barsani beim nächsten Newroz-Fest im Frühling
etwas unternehmen wird. Wird er es wagen, die Unabhängigkeit zu proklamieren?
Das wäre ein fataler Fehler. Dann stärkt er die
antikurdischen Kräfte im Irak, in Bagdad, und in der Türkei. Und natürlich in
Iran. Das wäre das Ende der Herrschaft von Barsani.
Doch
seit 10 Jahren sind die Kurden immer stärker und integrativer geworden, auch
nach dem Arabischen Frühling.
Das ist richtig, aber sie sollten ihre Karten auch
nicht überreizen.
Wie
würden die USA reagieren, wenn die Kurden einen weiteren Schritt zur
Unabhängigkeit gehen würden?
Das wird auch von den USA nicht gewollt, denn man
ist dort bisher nicht darauf aus, die Grenzen zu verändern. Wenn im Irak die
Grenzen durch einen eigenständigen kurdischen Staat verändert werden würden,
würde das natürlich dasselbe auch in Syrien bedeuten und das gäbe ein ganz
gewaltiges Chaos. Es mag natürlich sein, dass in Washington eines Tages in
diese Richtungen Entscheidungen getroffen werden, aber zum gegenwärtigen
Zeitpunkt ist dies noch nicht der Fall.
Was
halten Sie vom so genannten Friedensprozess in der Türkei?
Das ist schwer abzusehen, aber momentan geht er
nicht voran, gerade was die entscheidenden Forderungen der Kurden betrifft.
Die
Kurden haben sehr niedrige Forderungen gestellt. Sie wollen ihre Sprache und
Kultur pflegen.
Auch eine Autonomie wollen sie haben. Das geht der
gegenwärtigen Regierung in Ankara aber zu weit.
Wird
die AKP bei den nächsten Wahlen wieder siegen?
Das wissen wir nicht. Es kann sein, dass Erdoğan
wieder die türkisch-nationale Karte spielt, um auch bei den
Präsidentschaftswahlen entsprechend stark auftreten zu können. Das haben wir ja
auch schon 2011 erlebt. Er hat ja wiederholt Schritte auf die Kurden zu getan,
doch alles ist dann wieder zurückgenommen oder nicht weiterverfolgt worden, mit
dem Ergebnis, dass in der kurdischen Frage keine Lösung zustande gekommen ist.
Aber Erdoğan sucht natürlich den türkischen Wähler. Da kann es sein, so wie in
2011 auch, dass er wieder stärker die türkisch-nationale Karte spielt.
Bei
den nächsten Wahlen wird er ohne die kurdischen Parteien nicht regieren können.
Wird er die kurdischen Abgeordneten brauchen?
Jedenfalls wird er seine Verfassung nicht ohne sie
durchsetzen können. Da er bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mehr als
Ministerpräsident antreten wird, kann er jetzt nur noch für die Präsidentschaft
kandidieren. Es könnte sein Kalkül sein, dass er das auch ohne die kurdischen
Stimmen schafft.
Wird
es ohne die kurdischen Stimmen nicht schwierig sein?
So ist zumindest sein Kalkül. Wir haben das 2011
erlebt, da hat er fast 50 % der Stimmen bekommen.
Will
Erdoğan wirklich einen islamistischen Staat gründen? Gibt es eine Putsch-Gefahr
in der Türkei?
Im Augenblick ist das schwer zu sagen. Momentan ist
das Militär erst einmal ausgeschaltet. Und es ist natürlich auch in die
Auseinandersetzung mit den Kurden involviert. Außerdem ist unklar, was Erdoğan
letzten Endes wirklich will. Auch in seiner eigenen Partei ist manches von dem,
was er so sagt, umstritten.
Sein
Vize, Bülent Arınç, hat ihn wegen der Gezi-Proteste stark kritisiert. Kommt es
zu einer Spaltung innerhalb der Partei?
Das kann ich mir gut vorstellen, wobei auch Abdullah
Gül natürlich nicht unbedingt die Linie von Erdoğan verfolgt. Ich erwarte 2014
interessante Entwicklungen: Es bleibt die Frage, wie stark die
Gezi-Entwicklungen Erdoğan geschadet haben. Das erste Indiz hierfür werden die
Gemeinderatswahlen im Frühjahr sein und dann werden wir sehen, wie die
Präsidentschaftswahlen ausgehen und ob es zu einer Spaltung innerhalb der AKP
kommen wird.
Prof. Dr. Udo Steinbach:
WennAssad an der Macht bleibt, wird sich, was die Kurden betrifft, nicht vielverändern
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Prof. Dr. Udo Steinbach ist seit Juni 2012 Leiter des Governance Center Middle East/North Africa an
der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance, Berlin