14. Oktober 2008

Bemerkungen zur Herkunft der Kurden

Bemerkungen zur Herkunft der Kurden
von Siyamend Othman

Die kontroverse politische Natur der kurdischen Frage ist heute weitgehend verantwortlich für die Divergenzen und das ‘Durcheinander’ bei der Betrachtung jeglicher Aspekte des Lebens, der Zahl, der Herkunft und Geschichte der Kurden. Zum Beispiel haben alle Bemühungen, die gesamte kurdische Bevölkerung zu erfassen, zu einer ergebnislosen Schlacht von Erklärungen geführt. Es gab eine beträchtliche Zahl von Widersprüchen zwischen den Zahlen der unterschiedlichen Quellen. Einige zufällig ausgewählte Zeitungen zum Beispiel geben uns folgende Schätzungen der Anzahl der Kurden an: Chicago daily News (20.3.1946) 8 Millionen, The Guardian (21.3.1946) 2,5 Millionen, The Times (6.5.1946) 3 Millionen, Tribune des Nations (10.12.1948) 9 Millionen, The Scotsman (9.1.1951) 2,5 Millionen, The New York Times ((7.4.1952) 3-6 Millionen. Die Schätzungen variieren nicht nur zwischen den verschiedenen Zeitungen, sondern ebenso zwischen unterschiedlichen Ausgaben derselben Zeitung. Le Monde zum Beispiel schätzte die Gesamtzahl der Kurden auf 8-9 Millionen am 4.12.45, gab aber sechs Jahre später, am 7.12.1951, an, die Kurden zählten insgesamt 3 130 000 Personen! Dasselbe ‘Durcheinander’ gilt für die geographischen Grenzen der von Kurden bewohnten Gebiete, d.h. Kurdistans1. Während dies alles naturgegeben sein mag, die traditionelle Empfindlichkeit gegenüber geo-politischen Grenzen und Minoritätenzahlen, ist es überraschend, zu bemerken, daß die Kontroversen sich ausgedehnt haben auf die Frage, wer und was einen Kurden ausmacht!
Obwohl es bei dem Umfang unserer kurzen Betrachtungen nicht möglich ist, die zahlreichen Hypothesen, die sich auf die Herkunft der Kurden beziehen, in aller Tiefe zu diskutieren wird eine teilweise Darstellung der existierenden Meinungen in dieser Streitfrage notwendig sein
Ergebnisse seiner Studie stoßen auf allgemeine Billigung bei Wissenschaftlern, mit Ausnahme dessen, was er für früheste Erwähnung der Kurden auf einer Tontafel aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. hält.10 Wadie Jwaideh hat in seiner voluminösen Doktorarbeit (895 Seiten) Driver’s Entdeckungen weiter ausgearbeitet. Laut Wadie Jwaideh:
„Xenophons berühmte Darstellung der Karduken in der Anabasis ist eines der ersten Zeugnisse, die wir von den Kurden haben. Von da an erscheint dieses Wort mit geringfügigen Abweichungen in zahlreichen griechischen und römischen Schriften. Das Wort „Kardaken“ finden wir angewandt auf eine Klasse von asiatischen Söldnern, welche aus den Gebieten rekrutiert worden zu sein scheinen, welche von Karduken bewohnt waren... Es ist interessant, festzustellen, daß im Assyrischen ‘Qardu’, ‘stark’ und ‘Held’ bedeutet, und ‘Qaradu’ ‘stark sein’ bedeutet. Diese Namensform stimmt meist exakt überein mit Beth Qardu, gefunden in syrischen und arabischen Quellen. Beth Qardu umfasst die Gegend zwischen Tigris und Jabal Judi. Nicht allzuweit von diesem Gebiet lag das Pactyca der klassischen Schriftsteller, wo die Armenier die Einwohner von Pactyca laut Herodot den 13. Satrapen des Persischen Imperiums stellten. Dies ist eine Verweisung auf Bokhan oder Bohtan, eine der Hauptgruppen der Kurden“11.
Diesen Teil zum Ursprung der Kurden abschließend, könnten ein paar Worte zur Mythologie interessant sein. In der kurdischen Mythologie gibt es zwei Versionen von der Entstehung der Kurden. Die erste basiert auf der legendären Geschichte des Iran, welche berichtet, daß der Thron einige Zeit besetzt war von einem Machthaber namens Zahak. Diesem Zahak wuchsen auf seinen Schultern zwei Schlangen, welche jede von ihnen ein menschliches Gehirn für ihr tägliches Mahl forderte. Ein raffinierter Minister entwickelte die Idee, jedes menschliche Hirn mit dem eines Kalbes zu vertauschen, um so das Leben von ein oder zwei Jünglingen oder Jungfrauen zu retten, welche jeden Tag geopfert werden sollten. Die Überlebenden wurden heimlich in die Berge geschafft, wo sie die Ahnen der Kurden wurden. Die zweite Geschichte hat mit dem König Salomon zu tun. In alten orientalischen Sagen herrschte Salomon über die übernatürliche Welt, über solche sonderbaren Wesen, die Jinns, Ifrit, Div, Pari, usw. genannt wurden. Eines Tages, so behaupten die Kurden, rief König Salomon 500 seiner „Pari“, denen er am meisten vertraute, und befahl ihnen, in den Westen zu fliegen, um für seinen Harem 500 der schönsten jungen Mädchen mitzubringen, die sie finden könnten. Bei ihrer Rückkehr jedoch fanden sie ihren Herren tot, sodaß sie die jungen Mädchen für sich behielten und dadurch die Ahnen der Kurden wurden.12
Obwohl diese Geschichten als Mythen, die sie sind, betrachtet werden müssen, ist es interessant, festzustellen, daß die jüdische Sage eine ähnliche Erklärung enthält für die Entstehung der Kurden, von denen gesagt wird, sie seien die Abkömmlinge von „Teufeln, die 400 Jungfrauen raubten“13.
Die vorhergehenden Passagen können etwas Licht, egal wie viel, auf die Herkunft der Kurden geworfen haben; aber sie haben nicht die Frage beantwortet, was ein Kurde ist. William Eaglton behauptet, daß „es im modernen Sinne ausreichend ist, einen Kurden als eine Person zu bezeichnen, die sich selbst als solchen identifiziert.“14 Selbstverständlich ist diese Behauptung mehr einer politischen Analyse zuträglich, als der anthropologischen Verwendung. Aber es könnte gut die angenehmste Lösung des Problems darstellen. Das Haupthandikap, das einer solchen Lösung entgegensteht, besteht darin, daß das Individuum die Möglichkeit haben muß, sich selbst frei zu identifizieren. Wie wohl jeder zugeben muß, kann nicht die Rede davon sein, daß dies für die Kurden möglich gewesen ist.
Nach der Beseitigung des Schahregimes erschienen im Iran in immer größer werdenden Auflagen Bücher in kurdischer Sprache, zum überwiegenden Teil Nachdrucke aus dem Irak. Hierbei spielte die Bücherei Sayyidyan in Mahabad eine anerkannte Rolle.
Die Zahl der kurdischen Dichter und Schriftsteller ist in den letzten zwanzig Jahren in allen Teilen Kurdistans, besonders den irakischen, stark angestiegen. Die von ihnen veröffentlichten Werke bestehen vorwiegend aus Dichtungen und Novellen, die aktuelle Fragen, insbesondere die Tragödie des langjährigen Krieges gegen das kurdische Volk, behandeln.
Über die Zahl der gedruckten kurdischen Bücher bis 1975 vermittelt uns Mustafa Nariman in seiner Kurdischen Bibliographie (Bagdad 1975) folgende Zahlen:
Zahl der gedruckten kurdischen Bücher im Jahre:
1918: 18
1939: 198
1957: 416
1969: 854
1975: 1254
und sie hatten insgesamt 128 623 Druckseiten.
Die durchschnittliche Auflage der gedruckten Bücher beträgt ungefähr 2 000 Exemplare.

ANMERKUNGEN
1) Laut Minorsky wurde dieser Begriff zuerst von den Seldschuk-Türken gebraucht, welche damit eine Provinz bezeichneten, die nur einen kleinen Teil dessen, was heute als Kurdistan bekannt ist, ausmachte.
Vgl. Minorsky, „Kurdistan“ und „Kurds“ in the Encyclopaedia of Islam, Bd. II, F-K, London, Luzac % Co.,S.1130-1135
2) Vgl. z.B., M.R. Al-Feel, Die Kurden aus wissenschaftlicher Sicht, Bagdad, 1965
3) Wilson N. Howell, The Soviet Union and the Kurds. A study of National Minority problems in Soviet Policy, Doktorarbeit, Universität von Virginia (USA), 1965, S.59; (Die Sowjetunion und die Kurden. Eine Untersuchung der nationalen Minderheitsprobleme in der sowjetischen Politik
Vgl. ebenso, Dana Adams Schmidt, (Journey Among Brave Men, (Reise zu tapferen Menschen), Boston, Little Brown, 1964, S.46
4) Vgl. z.B., Great Britain, Foreign Office-Historical Section, Aremina and Kurdistan (Armenien und Kurdistan), Handbuch, vorbereitet unter der Direktion der historischen Abteilung des Foreign Office, Nr.62, London, 1920. Und Eliphinsto, „The Kurds and the Kurdish Question“ (die Kurden und die kurdischen Frage), in Journal of the Royal Central Asian Society, XXXV, Januar 1948, S.38
5) Arshak Sofrastian, Kurds and Kurdistan, (die Kurden und Kurdistan), London, Harvill Press, 1948, S.19
6) Vgl. Basile Nikitine, Les Kurdes. Etude Sociologique et Historique, Paris, Librairie Klincksiek, 1956, S.15
7) Wilson N. Howell, s.o., S.60
8) Mark Sykes, The Caliph’s last Heritage. A short history of the Turkish Empire, (die letzte Erbschaft der Kaliphen. Ein kurzer Abriss zur Geschichte des türkischen Imperiums), London, Macmillan & Co., 1915, S.553
9) Vgl. „Kurdistan“ in Encylopaedia Britanica, Bd. XIII, 1964, S.521
10) Vgl. Driver, „The name Kurd and its philological connexions“, in Journal of the Royal Asiatic Society, Nr.X, 1923, S.393-403
11) Wadie Jwaideh, The Kurdisch Nationalist Movement: its origin and development, (die kurdische nationalistische Bewegung: ihre Ursachen und Entwicklung), phil. Doktorarbeit, Universität von Syrakus (USA), 1960, S.22
12) C.J. Edmonds, Kurds, Turks and Arabs. Politics and research in northeastern Iraq. 1919-1925, (Kurden, Türken und Araber. Politik, Reise und Forschung in Nordostirak), London, Oxford University Press, 1957, S.4
13) Vgl. Wilson N. Howell, s.o., S.57
14) William Eaglton Jr., The Kurdish Republic of 1946, New York, Oxford University Press, 1963, S.1 (Die kurdische Republik von 1946)

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